KARL V. WESTERHOLT    Fotografie, Texte - künstlerische Arbeit                                                    Kommentare/Presse  <  Die Welt in Auszügen, Teil II  <  Home 


graue Linie


Andreas Krase
DIE GLEICHGÜLTIGEN ALLTAGSDINGE
Berliner Zeitung vom 27.04.2000

Nudelholz, Scheuerbürste, Kaffeefilter - so heißen die Protagonisten des Westerholtschen Pandämoniums nur dem äußeren Anschein nach. Der Künstler hat sie fotografisch überführt und in monumental großen Abzügen zur Besichtigung freigegeben. Aus den vitrinenartigen Rahmen können sie nicht entweichen: Sie sind schuldig der höhnischen Gleichgültigkeit, mit der sie das menschliche Leben begleiten. Nun wird ihnen der Prozess gemacht. So jedenfalls liest es sich in den philosophierend daherkommenden, doch gezielt skurrilen Texten, die Westerholt seinen Bildserien beigesellt.

Der 36-Jährige arbeitet seit 1990 an einem ausgedehnten Werk, betitelt "Die Welt in Auszügen". Inzwischen besteht es aus drei Bildfolgen, die in der Galerie am Prater gezeigt werden. Ein Auszug ist die auf schonende Weise gewonnene Konzentration wertvoller Wirkstoffe. Westerholt entnimmt der Wirklichkeit Fragmente verschiedener Art und wandelt sie in stützende Elemente geschlossener Systeme um. Dabei ist Fremdheit im Spiel, eine surreale Wahrnehmung, die ihr Entrücktsein gleich wieder instrumentalisiert. Das Vertrackte an den Motiven ist ihre durchdachte Einfachheit. Die knappe Zahl der Bilder, die prononcierte Kärglichkeit der Motive verhandelt die Frage, wie es denn wäre, wenn der moderne Mensch sein Umfeld mit leidenschaftlicher Klarsichtigkeit betrachten würde und nicht nur die Sinnentleertheit, sondern vor allem die schmerzhafte Endlichkeit seines Tuns bemerken und verinnerlichen müsste. Aber nicht Kulturschelte ist beabsichtigt - die Wahrnehmung wird thematisiert. Verstehen wird aber nur erlangt durch das Wiedererkennen vertrauter Strukturen, durch Orientierungshilfen und filternde Denkinstanzen. Westerholt zeigt, wie es ist, wenn Erhabenheit und Banalität ununterscheidbar werden. Dazu hat er in einem Tableau und der dazugehörigen Folge von Vergrößerungen einfachste Dinge abgebildet, in Augenhöhe, schattenlos schwebend vor weißen Hintergründen. Aber etwas stimmt nicht. Es ist nicht nur die quasi sakrale Perspektive, aus der heraus die Motive erfasst wurden. Erst nach eingehender Betrachtung wird deutlich, dass der Heimwerkerhammer, die Banane und das Küchenmesser in umgekehrten Tonwerten abgebildet sind: Weiß wurde Schwarz und umgekehrt. Die jüngste Serie heißt "Die Reisen des Käpt n Brass": 32 Bilder als Ergebnis langer Reisen zu Zielen des internationalen Tourismus - Kommentare zur Beliebigkeit von Klischees, aber auch zum Faszinosum unbewusster Bilder.



Marianne Winkler
UNBEACHTETE WINKEL VERKORKSTER UMWELT
Braunschweiger Zeitung vom 19. August 1996

Ein weißer Raum, so klar und rein, daß schon ein vergessenes Staubtuch Verwirrung stiften würde. Hier herrscht nur Ordnung von höchstem ästheti­schen Ausmaß. In der Mitte ein Tisch, mit schwarzem Tuch bedeckt. Darauf vier Fotobände, die aufgrund ihrer Empfindlichkeit nur mit bereitgelegten, weißen Handschuhen geblättert werden dürfen. An den Wänden in gemes­senen Abständen die Prozession von Bildern gleichen Formats, jeweils auf weißem Grund ein graues Motiv. Still, bewegungslos und so präsent wie die Wachgarde ihrer Majestät vor dem Buckingham-Palast. Die neue Studio­galerie des Kunstvereins für experimentelle Kunst ist eröffnet.
Und da entdecken wir sie, die Spülbürste des Fotografen Karl v. Westerholt, der das Feuilleton bereits eine Glosse widmete. Und schön ist sie, jungfräulich und ladenneu wie die Gegenstände dieser "Welt in Auszügen", die einzeln vorgestellt werden. Klassisch zentral komponiert, ein sauberes Hell-Dunkel, klare Konturen, eindeutig definiert, gleich einem Memory. Alles Abbild, alles Schein, gleichermaßen überzeugend wie unwirklich.
Ob Plastikeimer, Messer, Kosmetikkoffer, Sprühflasche, Taschentuch, Hammer, Spiegel, Banane, Käse oder Filtertüte: Es gibt keine Wertung, scheinbar eine Zufälligkeit oder Auswahl und Anordnung. Nichts ist klein, alles gleich groß und in Augenhöhe des Betrachters zum Gegenüber gewor­den. Plastisch rund und mit den notwendigen Strukturen versehen, sollten sie echt wirken.
Aber etwas stimmt nicht. Sie schweben in einem weißen Raum, werfen keine Schatten und lieben das Dunkelgrau. Das Geheimnis ist die Technik ihrer Ablichtung und heißt Umkehrverfahren. Karl von Westerholt fotografiert direkt auf Fotopapier, ähnlich den Bildern einer Lochkamera und vergrößert diese Negativ-Originale über Diapositive zu Großformaten.
Ein arbeitsintensives Verfahren mit Perfektionsanspruch für Motive inhaltlicher Banalität. Doch was ist banal? Was ist wert, heroisiert, aufbe­wahrt, überliefert zu werden? Wahrnehmung und Wirklichkeit werden durch einen Trick der Verfremdung in Frage gestellt, ein Prinzip, das die Kunst aller Zeiten beschäftigt. Magritte malte eine echt aussehende Pfeife und schrieb die Behauptung darunter, "dies ist keine Pfeife". Korrekt. Das Abbild ist keines­wegs benutzbar, es ist ein raffiniertes Vorgaukeln der Realität.
Westerholt beläßt es zunächst beim vergrößerten, aus dem Zusammen­hang gelösten Negativbild, um die Wahrnehmung zu wecken. In den Alben und im Katalog fügt er den Bildern auch Texte auf transparenten Seiten bei, Gedankenimpulse schieben sich über das Motiv, ohne die Absicht zu erklären.
Er ist ein genauer Beobachter, der leise vorgeht und Dinge sieht und ablichtet, die in unserer fotografischen Konservierung nicht gewürdigt werden, Gegenstände, die wir täglich gebrauchen, an denen wir blinden Auges vorübergehen, Geschichtsfragmente, die die Spurensicherung übersah.
Die Fotobücher auf dem Tisch zeigen mehr davon. Die "Welt in Auszügen, Teil I" berichtet von den unbeachteten Winkeln verkorkster Umwelt, den Unkräutern und verkümmernden Zuchtpflanzen, der Verstei­nerung des Erdbodens, den Eingrenzungen, die wir allerorts aufbauen, um das "Dahinter" verrotten zu lassen. Westerholt, 33jähriger Soziologe und studierter Fotograf, untersucht das Alltägliche in Gegenwart und Vergangen­heit, angezogen von der Wirklichkeit, die er in jedem beliebigen Winkel findet. In Berlin interes­sierten ihn die Spuren nationalsozialistischer Architektur. Allein die Details, brüchig und grau, geben Auskunft über Anmaßung, Gewalt, Menschen­verachtung, und Selbstverherrlichung. Wem Spülbürste und Einwegtaschen­tuch zu trivial sein mögen, der ziehe sich Handschuhe an und betrachte den Alltag der "Welt in Auszügen" dieser vier Alben. Und er wird nachdenklich den weißen Raum verlassen und vielleicht ein Auge für die Undinge des Alltags riskieren.

DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL II
Über die Obszönität des Gleichmuts von Alltagsgegenständen
Einleitung
Bilder
Ausstellungsfotos
Technische Daten
Kommentare/Presse